
Können Sie Ihre Zeugenaussage verweigern?
Udo Vetter erklärt im aktuellen Teil seiner Strafrechtsserie, was passiert, wenn Sie als Zeuge in den Fokus polizeilicher Ermittlungen geraten.
21.05.2015
Was droht bei einer Verhaftung? Wie läuft eine Hausdurchsuchung ab? Darüber habe ich in meiner Serie zum Strafrecht schon einiges berichtet. Aber man muss gar nicht Tatverdächtiger sein, um in den Fokus polizeilicher Ermittlungen zu geraten. Das passiert zum Beispiel auch recht schnell, wenn man nur als Zeuge einer Straftat in Betracht kommt.
Ich sage es ganz offen. Für den Genuss der meisten deutschen Fernsehkrimis, den Tatort eingeschlossen, möchte ich als Anwalt am liebsten was berechnen. Und zwar Schmerzensgeld. Für großes Unbehagen sorgt bei mir etwa, dass Zeugen im Krimi für die Ermittler meist nicht mehr sind als willige und unbedarfte Stichwortgeber.

Selbst Polizisten – nicht nur die im Krimi – gehen oft tatsächlich davon aus, dass Zeugen stets aussagen müssen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall.
Dabei gibt es genug Konstellationen, in denen ein Zeuge vielleicht lieber nichts sagen will. Nehmen wir mal an, Ihr Nachbar oder Ihr bester Freund wird einer Straftat bezichtigt. Wollen Sie da zwischen Tür und Angel der Polizei wirklich gleich alles erzählen, was Sie möglicherweise wissen oder ahnen? Kooperation ist natürlich Ihr gutes Recht. Aber eben nicht Ihre Pflicht – und genau das wissen nur die allerwenigsten.
Selbst Polizisten – nicht nur die im Krimi – gehen oft tatsächlich davon aus, dass Zeugen stets aussagen müssen. Dabei ist das bis heute nicht unbedingt der Fall. Auch nicht nach der kürzlichen Gesetzesänderung, die eine grundsätzliche Aussagepflicht von Zeugen auch gegenüber der Polizei eingeführt hat. Vor der erwähnten Änderung war alles ganz einfach: Da musste niemand mit Polizeibeamten sprechen. Nicht als Beschuldigter. Aber auch nicht als möglicher Zeuge.
Nun stellt sich die Situation nach der Gesetzesänderung etwas anders dar. Polizisten dürfen grundsätzlich sofort Auskunft von Zeugen verlangen - wenn dem ein konkreter Auftrag der Staatsanwaltschaft zu Grunde liegt. Gibt es diesen Auftrag nicht, gilt nach wie vor das uneingeschränkte Schweigerecht für Zeugen gegenüber der Polizei. Liegt dieser konkrete Auftrag an die Polizei aber vor, wird es etwas kompliziert. Einzelheiten - auch zu den möglichen „Zwangsmitteln“ der Polizei - erkläre ich in diesemausführlichen Beitrag zum Thema.
Der wichtigste Rat aber auch an dieser Stelle: Wer auch nach der neuen Rechtslage nicht unbedingt sofort mit der Polizei sprechen möchte, muss vor allem das Recht kennen, sich auch als Zeuge jederzeit einen Beistand zu suchen. Wenn also „Druck“ gemacht wird, kann man jederzeit das Recht geltend machen, auch als Zeuge zunächst Rat einzuholen, zum Beispiel von einem Rechtsanwalt.
Nicht vergessen darf man als Zeuge auch niemals, dass einem Schweigerechte zustehen können. So ist man nicht verpflichtet, gegen Angehörige, Ehepartner oder Verlobte auszusagen. Außerdem kann man jederzeit alle Angaben verweigern, mit denen man sich selbst in den Verdacht einer Straftat bringen könnte.
Es gibt also nach wie vor genug Möglichkeiten, sich eventuellem übermäßigen Druck auf eine Zeugenaussage zu widersetzen. Ganz wichtig ist auch zu wissen, dass die Polizei vor Ort in keinem Fall irgendwelche Zwangsmittel zur Verfügung hat. Man darf Sie als Zeugen gegen Ihren Willen weder auf die Wache verfrachten oder dort behalten. Die Verhängung eines - denkbaren - Ordnungsgeldes ist alleine dem Staatsanwalt vorbehalten. Und über eine Ordnungshaft darf ohnehin nur ein Richter entscheiden, wobei man sich in all diesen Fällen natürlich noch juristisch wehren kann.
Natürlich ist es nicht so, dass Zeugen bis in alle Ewigkeit schweigen dürfen. Es gibt zum Beispiel die Pflicht, beim Staatsanwalt auszusagen. Oder vor einem Richter. Die sind aber in aller Regel gar nicht vor Ort, so dass man als Zeuge erst mal auf einen späteren Zeitpunkt vorgeladen werden muss.
Das bedeutet aber stets die Möglichkeit, sich vor der Aussage rechtlich beraten zu lassen. Oder gleich einen Zeugenbeistand mitzubringen, der übrigens nicht unbedingt ein Anwalt sein muss. Erst vor dem Staatsanwalt oder Richter spielt es dann eine Rolle, ob man mit dem Verdächtigen verwandt, verlobt oder verschwägert ist. Das kann dann weitergehende Rechte begründen.
Alles geht, aber nichts muss. So möchte ich das weithin unbekannte, aber praktisch doch so bedeutsame Schweigerecht gegenüber der Polizei auf den Punkt bringen. Erinnern Sie sich daran, wenn ein Polizist Sie mal zu einer Aussage drängen will, bei der Ihnen im Moment unbehaglich ist.
Und zwar egal, aus welchen Gründen! Zu befürchten haben Sie als Zeuge jedenfalls rein gar nichts, wenn Sie auf Ihrem Recht bestehen. Ein Polizist kann Sie in so einer Situation weder festhalten noch Ihnen ein Bußgeld auferlegen.
Niemand soll in einen Gewissenskonflikt geraten, wenn er über nahestehende Menschen aussagen soll.
Gegenüber der Polizei kommt es also gar nicht darauf an, ob Ihnen ein besonderes Schweigerecht zusteht. Die gesetzlichen Schweigerechte – ein wichtiges Element unseres Rechtsstaates – werden aber wichtig, sobald der Staat von Ihnen eine Aussage erzwingen kann. Das ist der Fall, wenn Sie vor dem Staatsanwalt aussagen sollen. Oder einem Richter. Ein wichtiges Schweigerecht begründet die persönliche Nähe zum Beschuldigten.
Niemand soll in einen Gewissenskonflikt geraten, wenn er über nahestehende Menschen aussagen soll. Ein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht gilt für Ehegatten, Verlobte, eingetragene Lebenspartner und Verwandte in gerader Linie. Verwandte in der Seitenlinie dürfen bis zum maximal dritten Grad die Aussage verweigern.
Gerade bei Patchwork-Familien kann die Frage nach dem Schweigerecht mitunter richtig kompliziert werden. Eines ist jedoch Fakt und doch vielen Menschen nicht bewusst: Wer lediglich in „wilder Ehe“ zusammenlebt, muss im Zweifel zwar nicht gegen seine Kinder, wohl aber gegen den eigenen Partner aussagen. Eine Scheidung oder die Auflösung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft haben dagegen interessanterweise keine Auswirkung auf das einmal entstandene Schweigerecht.

Mitunter kompliziert – Schweigerecht bei Patchwork-Familien
Auf Fragen, die auf eine Straftat Ihrerseits schließen lassen, müssen Sie nicht antworten.
Von großer Bedeutung ist auch der in der Strafprozessordnung verankerte Grundsatz, dass man sich als Zeuge niemals selbst belasten muss. Das bedeutet: Auf Fragen, die auf eine Straftat Ihrerseits schließen lassen, müssen Sie nicht antworten. Dabei ist es keineswegs erforderlich, dass ein konkreter Verdacht im Raume steht. Vielmehr genügt es, wenn eine Straftat ansatzweise möglich erscheint.
Spätestens in dem Moment, in dem Ihnen mit zweifelhaften Gründen dieses Recht abgestritten wird, sollten Sie an juristische Rückendeckung durch einen Anwalt denken. Zu groß ist in solchen Fällen nämlich die Gefahr, dass Sie zunächst harmlos als Zeuge befragt und dann zum Beschuldigten hochgestuft werden.
Apropos Anwalt: In größeren Strafprozessen haben Sie als Zeuge häufig sogar einen Anspruch darauf, dass Ihnen auf Kosten der Staatskasse ein Anwalt zur Seite gestellt wird. Wenn alle Rechte nicht greifen, kommen Sie um eine Aussage nicht herum. In dem Augenblick unterliegen sie einer unbedingten Wahrheitspflicht. Eine Falschaussage – möglicherweise noch unter Eid - kann mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe belegt werden. Einfach gar nicht kommen oder konsequent nichts sagen, ist übrigens keine Alternative. Denn auch hier drohen bis zu sechs Monate Haft, und die Verfahrenskosten müssen Sie auch noch tragen.
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