Die Aussagepflicht bei der Polizei: Was Sie als Zeuge wissen sollten
Was Sie über Zeugenaussagen bei der Polizei wissen sollten und worauf Sie sich bei einer Vernehmung einstellen können.
10.06.2022 • 5 min Lesezeit
Zeugenaussage: Vorladung von der Polizei
Sie waren bei einem Verkehrsunfall in unmittelbarer Nähe und haben alles genau beobachten können? Oder Sie wurden namentlich als Zeuge im Fall einer körperlichen Auseinandersetzung genannt? Falls Sie nicht bereits vor Ort polizeilich zum Vorfall befragt wurden, erhalten Sie zeitnah eine schriftliche Vorladung zur Zeugenaussage. Ein solches Schreiben beinhaltet in der Regel neben dem Ort bzw. Raum, an dem die Zeugenaussage bei der Polizei stattfindet, auch das Datum, die Uhrzeit und ggf. mitzubringende Unterlagen zur Vernehmung. Generell sollen Zeugenaussagen bei der Polizei vornehmlich dazu dienen, allen Beteiligten des Vorfalls rechtliches Gehör zu gewähren. Indem Sie als Zeuge bei einer polizeilichen Vernehmung Ihre Auffassung schildern, können Sie eine bedeutende Rolle bei der Klärung von Tatvorfällen spielen.
Aus rechtlicher Sicht handelt es sich bei einer Vorladung von der Polizei meist nur um eine unverbindliche Einladung, der nicht unbedingt Folge geleistet werden muss. Für den Laien ist dies aber nicht immer deutlich herauszulesen. Ob Sie eine Zeugenaussage machen müssen oder nicht, klären Sie am besten in einem Anwaltsgespräch. Dieser kann Ihnen ganz genau erklären, was die Zeugenvorladung beabsichtigt. Ein Rechtsexperte weiß ebenfalls, ob Sie die Aussage vor Ort auf dem Polizeirevier oder alternativ auch schriftlich einreichen können.
Muss ich zur polizeilichen Vernehmung oder kann ich den Termin absagen?
Sollten Sie Post in Form einer Vorladung zur Zeugenaussage bei der Polizei laut § 163 Abs. 3 StPO erhalten, wird die Aussage persönlich auf der Wache aufgenommen. Eine polizeiliche Vernehmung muss nur dann in der örtlichen Behörde gemacht werden, wenn sie von einem Staatsanwalt oder gerichtlich angeordnet ist.
Wenn Sie als Zeuge der polizeilichen Vorladung nicht Folge leisten wollen oder können, müssen Sie diesen Termin aus rechtlicher Sicht nicht absagen. Falls Sie die polizeiliche Vernehmung als Zeuge zu einem anderen Termin nachholen wollen, kontaktieren Sie die zuständige Dienststelle telefonisch oder per E-Mail. Die entsprechenden Kontaktinformationen finden Sie auf der erhaltenen Vorladung.
Ist die Vorladung hingegen gerichtlich bzw. von der Staatsanwaltschaft angeordnet, müssen Sie erscheinen. Bei Versäumnis kann es sogar vorkommen, dass Sie die Polizei zu Hause persönlich aufsucht und befragt.
Ablauf einer Zeugenvernehmung bei der Polizei
Egal, ob Sie direkt am Tatort aussagen oder einer polizeilichen Vorladung Folge leisten: Bevor Sie Ihre Aussage machen, werden Ihre Personalien aufgenommen. Sie sind verpflichtet diese wahrheitsgemäß anzugeben (§ 111 OWiG). Nach Aufnahme der Personalien folgt die Zeugenbelehrung, die sich aus den folgenden vier Punkten zusammensetzt:
- Erklärung des Sachverhalts
- Belehrung zum Auskunftsverweigerungsrecht
- Anweisung zum wahrheitsgemäßen Antworten
- Bestätigung des Belehrungsverständnisses
Nach dem themenneutralen Teil folgt die tatrelevante Vernehmung bei der Polizei. Hierbei werden Sie als Zeuge aufgefordert, alle Aspekte „zur Aufklärung und Vervollständigung der Aussage sowie zur Erforschung des Grundes“ (§ 69 StPO) darzulegen. Im Anschluss werden offene Fragen und Unklarheiten geklärt.
Zeugenaussage bei der Polizei: Fahrtkosten und Freistellung von der Arbeit
Wenn Sie eine Zeugenaussage bei der Polizei machen müssen, da der Vorladung eine Anordnung der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt, ist Ihr Arbeitgeber dazu verpflichtet, Sie freizustellen. Für die Wahrnehmung des Termins darf Ihnen auch kein Gehalt abgezogen werden. Neben dem Verdienstausfall können Sie als Zeuge auch für Zeitversäumnis und Fahrtkosten entschädigt werden.
Bei Aussagen vor Gericht erhalten Sie in der Regel im Anschluss an die Verhandlung einen Laufzettel, mit dem Sie Ihren Verdienstausfall vor Ort geltend machen. Aber auch bei Zeugenaussagen bei der Polizei können Sie ein Recht auf Entschädigung haben – je nach Landesrecht in Ihrem Bundesland. Ihrer Vorladung entnehmen Sie neben Ort und Zeit des Termins auch Informationen, wie Sie den Verdienstausfall beantragen. Die Ihnen durch die Zeugenaussage entstandenen Fahrtkosten sind durch entsprechende Belege nachzuweisen wie zum Beispiel Fahrscheine.
Kann ich die Zeugenaussage schriftlich einreichen?
In der Regel nimmt die Polizei Zeugenaussagen vor Ort auf. Je nach Sachverhalt und Situation kann es aber auch dazu kommen, dass Sie die Zeugenaussage schriftlich machen. Häufige Fälle, bei denen um eine Zeugenaussage bei der Polizei in schriftlicher Form gebeten wird, sind etwa Verkehrsverstöße. Zur schriftlichen Zeugenaussage erhalten Sie ein entsprechendes Formular. Achten Sie beim Ausfüllen darauf, dass Name und Anschrift der Behörde sowie Ihre eigenen Angaben auf dem Bogen stehen. Ein Betreff mit dem jeweiligen Aktenzeichen hilft der Behörde bei der schnellen Zuordnung und sollte von Ihnen bei allem Schriftverkehr rund um den Fall angegeben werden. Die eigentliche Aussage zum Sachverhalt schildern Sie dann ausführlich und chronologisch mit Datum und Uhrzeit. Die schriftliche Zeugenaussage senden Sie anschließend unterschrieben zurück.
Aussage bei der Polizei unter Alkoholeinfluss
Sollten Zeugen auch vernommen werden, wenn sie alkoholisiert sind? Oder wartet die Polizei auf einen nüchternen Zustand des Zeugen? Bislang ist noch ungeklärt, ob und in welchem Sinneszustand die Angaben „genauer“ sind. Daher werden auch Aussagen unter Alkoholeinfluss aufgenommen und sind selbst vor Gericht zugelassen und rechtskräftig. Andernfalls könnte eine nachträgliche Behauptung, getrunken zu haben, die ursprüngliche Aussage nichtig machen und den Prozess sinnlos hinauszögern.
Gut zu wissen: Ab einem Promillewert von 2,0 kann eine sogenannte verminderte Schuldfähigkeit bestehen. Hierbei handelt es sich um einen Richtwert, der von Fall zu Fall individuell betrachtet wird. Mit 3,0 Promille gilt ein Mensch als unzurechnungsfähig.
Kann man eine Aussage bei der Polizei widerrufen?
Nein, eine Aussage, die bereits protokolliert ist, kann nicht mehr zurückgezogen werden und verbleibt in der Ermittlungskartei – auch wenn das Protokoll nicht unterschrieben ist. Aber: Wenn Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt noch etwas einfällt, kann eine Zeugenaussage nachträglich ergänzt oder berichtigt werden. Dennoch wird die vorherige Aussage dadurch nicht einfach für nichtig erklärt.
Als Zeuge haben Sie die Pflicht wahrheitsgemäß auszusagen. Als Beschuldigter hingegen können Sie von Ihrem Recht zu Schweigen Gebrauch machen. Aber auch hier gilt: Eine getätigte Aussage kann nicht zurückgezogen werden.
Der Bundestag hat 2017 eine Gesetzesänderung beschlossen, die bei jedem Kontakt mit der Polizei wichtig ist.
Nicht nur als Strafverteidiger, sondern auch als Bürger sage ich: Die Regelung vor 2017 war sinnvoll und rechtsstaatlich geboten. Gerade am Anfang von polizeilichen Ermittlungen ist nämlich häufig noch nicht geklärt, ob ein Zeuge nicht doch irgendwie in eine Straftat verwickelt ist und ihm daher die Rechte eines Beschuldigten zustehen. Das wichtigste und wirklich unveräußerliche Recht eines Beschuldigten ist aber, dass er uneingeschränkt schweigen darf.
Zeuge oder Beschuldigter? Eine wichtige Frage
Eine kleine Änderung in der Strafprozessordnung führte im August 2017 zu einer denkwürdigen Wende. Die Frage „Zeuge oder Beschuldigter?“ wird seitdem in einem frühen Stadium wichtig, denn anders als vorher gibt es inzwischen eine Aussagepflicht für Zeugen. Die Vorschrift lautet wörtlich: „Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.“ Mit den Ermittlungspersonen ist die Polizei gemeint.
Mit der grundsätzlichen Freiwilligkeit einer Zeugenaussage gegenüber der Polizei ist es also vorbei. Das kann nicht nur im Grenzbereich zwischen Zeugen und Beschuldigten problematisch sein. Vielmehr können für an sich völlig unverdächtigte Zeugen unangenehme Drucksituationen entstehen. Denn möglicherweise verlangen Polizeibeamte unter Berufung auf die Rechtslage schon an Ort und Stelle eine Aussage. Das genau ist aber nun wirklich nicht jedermanns Sache. Denken Sie zum Beispiel an den simplen Fall, dass Sie als Beifahrer in einem Auto sitzen und plötzlich den Fahrer, der möglicherweise noch ein guter Freund ist, wegen eines Verkehrsverstoßes (zum Beispiel Fahrerflucht) belasten sollen.
Kennen Sie Ihre Rechte bei der Polizei
Wenn Sie in so einer Situation nicht aussagen wollen, müssen Sie ein wichtiges Schlupfloch des Gesetzes kennen. Die Polizei darf eine Aussage von Ihnen nämlich nur verlangen, wenn sie „im Auftrag der Staatsanwaltschaft“ handelt.
Hierauf sollten Sie die Beamten hinweisen und sich erkundigen, inwieweit die Staatsanwaltschaft hierzu wirklich einen Auftrag erteilt hat. Bei einem ganz frischen Geschehen, etwa einem Verkehrsunfall, ist so ein Auftrag ja auch eher unwahrscheinlich.
Die Staatsanwaltschaft muss für jede Zeugenvernehmung einen konkreten Auftrag erteilen. Daher unterscheiden sich beide Formen der Vernehmung: Einer rein polizeilichen Vorladung müssen Sie nicht nachkommen, einer gerichtlichen Anordnung bzw. einer Vorladung auf Anordnung einer Staatsanwaltschaft hingegen schon!
Keine Ladungsfrist für Zeugen vorgesehen
Heikel ist die Regelung gerade auch dadurch, dass das Gesetz noch nicht einmal eine Ladungsfrist für den Zeugen kennt. Es kann also passieren, dass man auch zu Hause oder am Arbeitsplatz von Polizisten aufgesucht wird und unter Berufung auf das Gesetz sofort eine Aussage machen soll. Als Strafverteidiger weiß ich nur zu gut, dass viele Beamte gerne das Überraschungsmoment nutzen.
Aber auch nach der seit 2017 greifenden Rechtslage gibt es völlig legale Gegenstrategien. Wollen Sie sich als Zeuge nicht überrumpeln lassen, sollten Sie Ihre Rechte kennen. Verlangen Sie also von den Beamten den bereits erwähnten Nachweis, dass diese „im Auftrag der Staatsanwaltschaft“ handeln. Verweisen Sie auch auf Ihr Recht auf einen Zeugenbeistand. Den Zeugenbeistand, zum Beispiel einen Rechtsanwalt, sieht das Gesetz ausdrücklich vor. Wenn dieses Recht auf einen Beistand nicht leerlaufen soll, müssen Sie zumindest genug Zeit erhalten, um zum Beispiel einen Rechtsanwalt zu kontaktieren und sich mit ihm vor der Vernehmung zu beraten.
Letztlich hat die Polizei an Ort und Stelle auf keinen Fall die Möglichkeit, Sie zu irgendwas zu zwingen. Man darf Sie als Zeugen zudem nicht gewaltsam auf die Wache mitnehmen oder gar einsperren. Auch ein Ordnungsgeld kann nur der Staatsanwalt verhängen. Eine Ordnungshaft ist sogar nur durch den Richter möglich. So eine Entscheidung fällt natürlich nicht sofort, sodass man jedenfalls ausreichend Zeit zum Nachdenken gewinnt. Überdies gibt es auch noch diverse Beschwerdemöglichkeiten vor Gericht.
Ganz schutzlos muss man sich also nicht fühlen. Jedenfalls dann, wenn man seine Rechte als Zeuge kennt. Falls Sie sich fragen, warum es 2017 überhaupt zu dieser Regelung gekommen ist: Staatsanwälte und Richter sollten arbeitsmäßig entlastet werden. Am Ende reden wir also über Geldersparnis durch die Einschränkung wichtiger Rechte. Das muss man nicht gut finden. Ich jedenfalls tue es nicht.
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