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Ich denke ja gern ein wenig zurück, wenn ich versuche, unsere komplizierte Online-Welt von heute zu verstehen. Was wäre passiert, wenn in den Siebzigern oder Achtzigern die Forderung aufgekommen wäre, vorsorglich den gesamten Postverkehr zu überwachen? Also festzuhalten, wer wem und wann einen Brief geschickt hat. Das, da bin ich mir sicher, hätten wir nicht mit uns machen lassen. Das Brief­geheimnis! Ein Grundrecht! Unantastbar!

Selbst heute fordert noch kein Politiker, Briefe pauschal zu kontrollieren. Ist auch nicht nötig, denn die Schnecken­post verliert an Bedeutung, Tag für Tag. Wann haben Sie Ihren letzten persönlichen Brief in ein Kuvert gesteckt? Aber wann haben Sie zuletzt gemailt, gechattet oder eine What's App-Nachricht geschickt? Ich allein heute schon ein gutes Dutzend Mal. Wie jeden Tag. Ich bin sicher, es geht Ihnen kaum anders.

Seltsamerweise scheinen sich durch die Verpackung einer Nachricht aber unsere Rechte zu ändern. Kaum ist der Brief eine E-Mail, soll staatlich festgehalten werden dürfen, an wen ich sie zu welchem Zeitpunkt geschickt habe. Und was im Betreff stand. Gleiches gilt übrigens auch für jedes Telefonat. Wann ich mit wem plaudere, soll automatisch protokolliert werden, der Standort meines Mobil­telefons eingeschlossen – und das alles mindestens sechs Monate lang.

Das ist die Vorratsdaten­speicherung. Ich habe den damit verbundenen Anspruch des Staates, ohne konkreten Verdacht so tief in mein Privatleben einzudringen, nie verstanden. Nun bin ich sehr froh. Darüber, dass wichtigere Menschen als ich es im Kern genau so sehen. Der Europäische Gerichtshof hat nämlich die aktuellen EU-Vorgaben zur Vorratsdaten­speicherung für komplett unwirksam erklärt.
Es ist ein sehr deutliches Urteil. Danach müssen wir Europäer eine Komplett­speicherung unserer Daten nicht hinnehmen. Weil daraus ein Gefühl des „Beobachtetseins“ resultiert, welches mit den europäischen Freiheits­rechten unvereinbar ist. Nur in engsten Ausnahme­fällen hält das Gericht eine Speicherung für denkbar, etwa bei einer konkreten Bedrohung durch Terrorismus oder organisierte Kriminalität. Aber auch dabei müssen die Maßnahmen stets auf „das Notwendigste“ beschränkt bleiben. Die bisherigen Pläne, Vorratsdaten für 6 - 24 Monate zu speichern, gehen dem Gericht offenkundig viel zu weit.

Das Urteil ist übrigens kein Ausreißer. Auch bei uns haben die besonnenen Richter am Bundesverfassungs­gericht schon ähnlich geurteilt. Sie legten damit die bundesdeutsche Vorratsdaten­speicherung vorläufig aufs Eis. Nach dem Grundsatzurteil aus Brüssel wird es nun auch bei uns kaum möglich sein, wie an sich geplant eine umfassende Vorratsdaten­speicherung zu etablieren.

Aber was ist mit unser aller Sicherheit, welche die riesigen Datenhalden befördern sollen?

Wenn nach dem klaren Richterspruch ohnehin nur noch schwerste Straftaten einen Datenzugriff erlauben, stellt sich bei der Vorratsdaten­speicherung die Sinnfrage in neuer Schärfe. Terroristen und Schwerkriminelle kennen das Risiko der Überwachung. Sie haben auch die Mittel, um ihre Spuren wirksam zu verschleiern. Ihnen kommt man mit der Vorratsdaten­speicherung kaum auf die Schliche.

Aber auch gegen die einfache Kriminalität hilft die Vorratsdaten­speicherung nicht. So hat das Max-Planck-Institut in einer großangelegten Studie herausgefunden, dass die Aufklärungs­quote mit der Vorratsdaten­speicherung kaum wahrnehmbar stieg.

Das Urteil aus Brüssel zeigt uns in aller Deutlichkeit: Nicht alles, was technisch machbar ist, darf auch umgesetzt werden. Der Maßstab sind immer noch die Grundrechte, auf deutscher wie europäischer Ebene. Zu diesen Grundrechten zählt eben auch, dass unsere Nachrichten nicht anlasslos durch staatliche Filter laufen.

Und zwar ganz gleich, ob sie nun auf Papier stehen oder in einer Mail.

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